Home » Vergesslichkeit ist gleich Demenz?
News

Vergesslichkeit ist gleich Demenz?

Credits: unsplash

Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco spricht im Interview über Telefonbuchwissen, Eselsbrücken und die Wichtigkeit der Früherkennung von Demenz-Symptomen.

Univ.-Prof. Dr. med. Peter Dal-Bianco, FA.

Neurologie & Psychiatrie, Medizinische Universität Wien, em. Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft

Sie sind Spezialist für Gedächtnisstörungen. Mit welchen Fragestellungen kommen Menschen mit Demenz oder mit dem Verdacht auf Demenz zu Ihnen?

Viele Patient:innen kommen alleine , ohne irgendjemandem etwas zu sagen. Sie merken etwa, dass sie Worte, Begriffe, Terminvereinbarungen oder Inhalte innerhalb sehr kurzer Zeit vergessen. Es gibt auch Patient:innen, die zu mir kommen, weil etwa Partner:innen oder Familie auffällt, dass sie sich zwar in ihrer gewohnten Umgebung, nicht aber in neuer Umgebung zurechtfinden. Darüber hinaus kommen auch jüngere Menschen zu mir, die besorgt sind, weil sie sich weniger merken. Meist leiden diese an einer reversiblen Form der Vergesslichkeit. Bei allen Menschen, vor allem jenen über 60, ist eine Ursachenabklärung extrem wichtig, um eine gezielte Therapie frühzeitig zu beginnen.

Bedeutet Vergesslichkeit automatisch Demenz?

Nein, das bedeutet es nicht. Vergesslichkeit ist ein Symptom, das viele Ursachen haben kann. Mit anderen Worten: Vergesslichkeit ist nicht automatisch mit Alzheimer oder Demenz verbunden. Daher ist eine Ursachenabklärung auch so wichtig. Vergesslichkeit ist ein Symptom, das Resultat einer Kette von Fehlschaltungen organischer Art. Das ist oft nicht bekannt.

Stichworte Alzheimer und Demenz: Wie stehen diese beiden Begriffe zueinander?

Demenz ist der Überbegriff und bedeutet aus dem Lateinischen übersetzt so viel wie „abseits des Geistes“. Die häufigste Form der Erkrankung mit Demenz-Symptomen ist die Alzheimer-Erkrankung. Am Beginn ist hauptsächlich das Kurzzeitgedächtnis betroffen. In weiterer Folge wird das biographische Gedächtnis in Mitleidenschaft gezogen. Das ist ein harter Einschnitt, weil wir Menschen von unserer Geschichte geprägt werden. Unsere Erlebnisse/Biographien sind eben besonders im Alter ein großer Schatz.

Welche Ursache und welche Risikofaktoren gibt es für Alzheimer?

Nur 1-2 % der Patient:innen haben eine familiäre Form der Alzheimer-Erkrankung. Am häufigsten aber tritt die Spontanform auf. Wenn man aber die Risikofaktoren erkennt und behandelt, kann der klinische Beginn der Demenz-Symptome jahrelang hinausgezögert werden. 40 % aller Alzheimer-Patient:innen müssten ihre Erkrankung nicht erleben, wenn sie die folgenden Risikofaktoren beachten würden: Bluthochdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel, erhöhte Blutfette , Zigaretten rauchen, Diabetes, Schädel-Hirn-Traumen, Alkoholkonsum, Hörstörungen, soziale Isolation, Depression und neuerdings Luftverschmutzung. Wesentliche Faktoren für das Hinauszögern von Demenz-Symptomen sind lebenslange Bildung und die Teilhabe an sozialen Interaktionen. Der Rückzug und das Abkoppeln von der Gemeinschaft hingegen erzeugen eine negative Spirale in Richtung Demenz.

Wie kann man Alzheimer bzw. Demenz behandeln?

Wir können heute symptomatische Therapien einsetzen. Es gibt zwei große Wirkstoffgruppen. So sorgen zum einen die Acetylcholinesterasehemmer dafür, dass der für das Gedächtnis so wichtige Botenstoff Acetylcholin im Zuge der Alzheimer Erkrankung nicht so rasch abgebaut wird. Zum anderen gibt es Glutamat-Rezeptorantagonisten Memantin, der die Nervenzellembran von Alzheimer-Patient:innen abdichtet.

Das heißt, es sind Medikamente zur Behandlung verfügbar. Aber wie kann man das eigene Gedächtnis abseits davon trainieren?

Informationen nach Telefonbuchart können wir uns nur schwer merken. Wir Menschen denken in Zusammenhängen. So gibt es die Eselsbrücken, mit Hilfe derer wir uns Inhalte leichter merken. Unser Gehirn ist so entwickelt, dass wir mit Lebenssituationen umgehen können, indem wir Zusammenhänge begreifen und sinnvoll reagieren. Diese Hirnleistung können wir trainieren. Dafür ist das Lernen mit Neugierde die optimale Methode, denn dann sind die Tore des Gehirns offen. Ebenso prägt sich alles, was mit Emotion verbunden ist, stark ein. Wenn wir also Inhalte emotional verbinden, werden wir diese besser speichern.

Warum ist die Alzheimer-Früherkennung so wichtig und wie kann man Menschen Angst davor nehmen, etwaige Symptome abklären zu lassen?

Für Betroffene ist das Gefühl des Vergessens beunruhigend und unangenehm. In dieser Schwebe lebt es sich nicht gut. Daher ist es vernünftig, zunächst etwa mit Hausärzt:innen darüber zu sprechen. Diese überweisen dann zu Nervenärzt:innen, die eine genaue Abklärung durchführen werden. Liegt eine Alzheimer-Erkrankung vor, ist es wichtig, möglichst früh mit der Behandlung zu beginnen. Denn: Je früher, desto wirksamer sind die Medikamente und umso besser ist es für Patient:innen. Das bedeutet, dass Betroffene mehr Vorteile als Nachteile haben, wenn sie sich einer Abklärung stellen.

Was können wir tun, damit Alzheimer bzw. Demenz in unserer Gesellschaft kein Tabuthema mehr ist?

Wir können an mehreren Ansätzen arbeiten. Die Beschreibung von Demenz-Patient:innen erfolgt häufig so, als würden sich alle im schwersten Stadium befinden. Auch in den Medien wird häufig nur über das schwerste Demenz-Stadium berichtet. Meist sprechen wir über Demenzpatient:innen, viel seltener aber sprechen wir mit den Menschen mit Vergesslichkeit. Wir müssen also die Betroffenen ins Gespräch miteinbeziehen und nicht kategorisieren und ausgrenzen. So wie Menschen mit bestimmten Eigenschaften oder Aussehen, Orientierungen oder Geschlechtszuteilungen nicht ausgegrenzt werden dürfen, so sollen auch Menschen mit Vergesslichkeit und Demenz in unsere Gesellschaft integriert werden. Denn das bedeutet für Betroffene Respekt und Wertschätzung.

Next article