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Über die große Chance, neue Wege zu gehen

Foto: hölzel - photography & design

Für den ehemaligen Gesundheitsminister Rudi Anschober bedeutet „das Alter“ vor allem eines: etwas Positives! Wieso diese Lebensphase für ihn nichts mit Zahlen, sondern mit Wahlfreiheit und Zeit zu tun hat, erzählt er im Interview.

Was bedeutet es für Sie, gesund im Alter zu sein?

Die Frage ist, wo beginnt „das Alter“? Ich glaube nicht, dass es mit Zahlen festlegbar ist. Manche fühlen sich vielleicht in meinem Alter, mit 61 Jahren, alt, andere jung. Ich bin noch aktiv tätig und fröne keinem Pensionistendasein, aber ich habe mein Arbeitspensum von 150 Prozent in meiner Zeit als Gesundheitsminister heute auf deutlich unter 100 Prozent reduziert. Ich gönne mir Pausen und setze meine Prioritäten. Es klingt jetzt vielleicht erschreckend, aber ich habe mir erst jetzt erstmals umfassend und präzise die Frage gestellt, was für mich ein gutes Leben ist und was es dafür braucht. Diese Fragen kann man sich immer nur dann stellen, wenn man dafür genügend Zeit hat. Ich versuche, mir das Leben so zu gestalten, dass ich das tue, was mir Freude bereitet. Es gibt für mich heute eine andere Form der Wahlfreiheit – das genieße ich sehr.

Durch den demografischen Wandel und die damit gestiegene Lebenserwartung hat sich das, was wir als „Alter“ verstehen, in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Was ist denn „das Alter“ für Sie?

Für mich ist „das Alter“ eine Lebensphase, die bedeutend länger dauert als für die Generationen vor uns. Es ist ein wesentlicher, großer und umfassender Teil des Lebens und für mich mit großen Chancen verbunden. Viele von uns haben mehr Freiheiten und mehr Zeit. Das ist ein großes Geschenk. Ich definiere Alter daher als etwas sehr Positives! Es ist auch eine Phase von Chancen und Selbstbestimmungsmöglichkeiten – solange man keinen Pflegebedarf hat und selbstständig und selbstbestimmt leben kann.

Viele von uns haben mehr Freiheiten und mehr Zeit. Das ist ein großes Geschenk. Ich definiere Alter daher als etwas sehr Positives! 

Sie definieren Alter als etwas sehr Positives. Gleichzeitig ist das Alter häufig auch negativ konnotiert. Haben Sie sich schon einmal alt gefühlt?

Das ist schwierig, denn was bedeutet es schon, sich alt zu fühlen? Ja, ich habe mich müde und ausgelaugt gefühlt. Ich habe den Eindruck, dass wir in unserer „Immer-mehr-immer-höher-Gesellschaft“ Jahrzehnte hatten, in denen das Alter ziemlich zur Seite geschoben wurde. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der medizinischen Leistungen gibt es ja immer mehr alte Menschen. Ich sehe daher, dass sich die Positionierung und die Wertigkeit des Alters gerade in unserer Gesellschaft ändert – auf eine positive Art und Weise.

Als ehemaliger Gesundheitsminister haben Sie sich beruflich intensiv mit Gesundheit in allen Lebensaltern beschäftigt. Inwiefern hat diese politische Beschäftigung Sie in Ihrer Gesundheit geprägt? 

Sehr stark! Ich habe mir zu meinem Amtsantritt die Antrittsreden meiner Vorgängerinnen und Vorgänger durchgelesen. In einem Punkt waren sich alle einig: Wir müssen mehr für die Gesundheitsvorsorge tun. Leider ist daraus herzlich wenig geworden. Einerseits, weil das Thema schwer greifbar ist, und andererseits, weil es immer tagespolitische Prioritäten gibt, die finanziell schwerer dotiert werden. Meine Tätigkeit als Gesundheitsminister hat mich für das Thema Prävention extrem sensibilisiert. Ich habe gelernt, darauf zu achten, was mein Körper, meine Seele und mein Geist brauchen. Heute merke ich, dass mir das sehr guttut.

Das Alter ist für mich eine große Chance, weil es eine Phase ist, in der man die Zeit hat, viele neue Wege zu gehen. Und diese Zeit sollten wir auch nutzen!

In Ihrer aktiven Zeit als Politiker sind Sie sowohl mit Ihrer physischen als auch psychischen Gesundheit sehr offen umgegangen. Braucht es eine verstärkte Aufmerksamkeit für psychische Gesundheit im Alter?

Die braucht es nicht nur im Alter, sondern generell! Das ist eine unserer großen Schwachstellen in einem sonst hervorragenden Gesundheitssystem. Ich verwehre mich gegen das Segmentdenken. Die psychische Gesundheit betrifft genauso wie die physische Gesundheit uns alle.

Ihr Buch mit dem Titel „Pandemia“ wird in wenigen Wochen erscheinen. Darin beschäftigen Sie sich mit Einsichten und Aussichten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Welche Auswirkungen hatte und hat die Pandemie auf ältere Menschen? 

Hohes Alter war und ist in der Pandemie mit einem erhöhten Risiko verbunden. Ich habe sehr viele ältere Menschen erlebt, die mit diesem Risiko sehr vorsichtig umgegangen sind. Gleichzeitig war es für Menschen, die in Pflegeheimen oder Institutionen leben, besonders schwierig, weil die Besuchstätigkeiten zeitenweise eingeschränkt waren. Wenn man nicht mehr mobil ist, selbst unterwegs sein kann, sondern tagtäglich auf Besuche wartet, ist das eine sehr schwierige Situation. Ich erachte es als spannend, dass die Pandemie auch eine große Übung in Sachen Solidarität ist. Wie können wir auf die unterschiedlichen Generationen Rücksicht nehmen? Wir haben gelernt, dass wir nur dann sicher sind, wenn alle sicher sind. Das ist für mich ein neuer Begriff von Solidarität und Zusammenhalt der Generationen.

Sie sind auch aufgrund Ihrer Social-Media-Tätigkeit bekannt dafür, viel in der Natur unterwegs zu sein. Ist das der Schlüssel für Sie, sich möglichst lange jung zu fühlen und zu bleiben – wie auch immer „jung“ definiert ist?

Ich bin sehr gerne mit meinen Tieren und anderen Menschen in der Natur und in Bewegung. Mehr Zeit als früher als aktiver Politiker zu haben, bedeutet für mich auch, drei- bis viermal pro Woche laufen gehen zu können. Ich habe mir auch als Projekt vorgenommen, einmal pro Woche einen Stadtteil von Wien, wie etwa die Steinhofgründe, zu „erlaufen“. Du nimmst die Gegend ganz anders wahr, und das genieße ich sehr. Diese Mischung aus Bewegung und Neugierde halte ich insgesamt für sehr wichtig. Aber natürlich gibt es kein Patentrezept, um fit zu bleiben. Es kommt immer darauf an herauszufinden, was einen glücklich macht – das, so glaube ich, ist Teil des Schlüssels.

Was wünschen Sie sich selbst für Ihr persönliches Älterwerden und was möchten Sie unseren Lesern auf diesem Wege mitgeben?

Sich die Neugierde zu erhalten – eine Neugier auf das Neue und keine Angst vor diesem Neuen zu haben. Und sich die Lebensfreude zu bewahren oder zu lernen, sie zu verstärken. Das Alter ist für mich eine große Chance, weil es eine Phase ist, in der man die Zeit hat, viele neue Wege zu gehen. Und diese Zeit sollten wir auch nutzen! 

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